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ZILLA
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08.02.05, 15:14
Weihnachten '84  Zitieren icon icon 30.08.05, 12:37
i.
Weihnachten... 1984.
Ich ging in den Essraum.
Der Gast war eingetroffen: Bodo, der Säufer, und im Wohnzimmer lauerte unter dem Weihnachtsbaum die Bescherung. Es gibt keinen Tag, der länger als vierundzwanzig Stunden dauert, dachte ich, und von dem hier waren schon achtzehn vorbei.
Meine Mutter bestand mit der Sturheit eines afrikanischen Wasserbüffels darauf, dass wir singen:
‘Oh Tannenbaum...’, und ich singe: ‚... wie braun sind deine Nadeln/sie sterben schon seit geraumer Zeit...’, als meine Schwester heiser wird und Vater versucht, mich mit einem Fünf-Mark-Stück zu bestechen. Ich bleibe hart; schließlich hat Jesus auch nicht gleich nachgegeben.

ii.
Die Bescherung: Ich erhalte von Mutter - wie jedes Jahr - ein Dutzenderpack Socken. Ich verstaue sie in meinem eigens für diesen Zweck angeschafften Sockenschrank - an Socken wird es mir nicht mangeln bis zur nächsten Eiszeit - und komme zurück ins Wohnzimmer.
Alles nimmt seinen Lauf. Mit Ausnahme von Mutter werden sie zuerst saufen, dann politisieren und saufen, und am Schluss saufen, politisieren, sich prügeln und die Wohnungseinrichtung schrotten, während meine Schwester versuchen wird, die Aquariumsfische mit Mutters Weihnachtsbowle zu vergiften.
Der Christbaum brennt schon, es muss halbacht sein, er brennt jedes Jahr um diese Zeit. Meine Schwester löscht.
Vater hat am gestrigen Tag vorsichtshalber die Weihnachtsplatten von Mutter zerkratzt. Bodo der Säufer ruft grölend: „Frooohe Oostern!“, und Mutter bringt ihre ‘Plätzchen’. Wahrscheinlich hat sie das Rezept von einer Firma, die Stahlbetonmischungen zum Bauen von Fundamenten für 24stöckige Hochhäuser herstellt. Im direkten Vergleich brechen zuerst die Zähne.
Inzwischen hat der Hund noch seinen Beitrag gebracht, oder besser: gemacht. Er schiss unter den (immer noch brennenden) Weihnachtsbaum, während Mutter heult und Vati den Opa unterm Couchtisch würgt. Meine Schwester ist fertig mit Löschen und wirft mir jetzt böse Blicke zu. Sie hat mir drei LPs von ZZTop geschenkt, und ich ihr ein selbstgemaltes Bild (um dem Kommerz zu widersagen).
Schließlich kommt der unvermeidliche Augenblick. Der Augenblick, den jeder kennt, und den alle (Bodo, Opa, Vater, meine Schwester, der Hund und ich) mit Angst erwartet haben.
Die Mitternachtschristmette. Bodo ist blau. Er wünscht mir alles Gute zu meinem Geburtstag. Onkel Simon kommt auch noch vorbei, Mutter lässt ihn rein ... ein Mitglied des Pfarrgemeinderats. Er wird wieder versuchen, Bodo für die Neugründung des ‚Bunds der Alten Deutschstämmigen Nationalkämpfer’ zu gewinnen (welcher das Ziel hat, nächstes Jahr Elsaß-Lothringen zurück zu erobern).
Mutter fragt mit zittriger Stimme: „Ich geh jetzt zur Mette. Feierlich, christlich und schön... Wer kommt mit?“ Niemand, wäre die Antwort. Und wenn niemand mit kommt, löst sich das Universum für sie in Nichts auf, und Vater muss wieder den Notarzt kommen lassen wie letztes Jahr. Meine Schwester ist von einer Sekunde auf die andere krank geworden. Dem Tode nahe schleppt sie sich auf ihr Zimmer ins Bett.

iii.
Ich opfere mich. Nehme sechs Flaschen Bier in meinen Rucksack, pack meinen Walkman in die Manteltasche, und wir gehen los, Mutter und ich. Wir kommen zu spät, es hat schon angefangen. Der Gesang des Chors gefällt den Chorteilnehmern sehr gut. Ich setze mich und lege die Kassette ein. Kopfhörer auf, einschalten und mitsingen. Sex Pistols: „I am an anarchyst/I am the antichrist...“ Die wenigen Jugendlichen haben sich bald um mich geschart und den Rock’n’roll und mein Bier.
Eine Gruppe von sechs Hells Angels kommt auch noch in die Kirche, um zu demonstrieren, wie sie ihren ‘Glauben leben’. Einer hat einen 100-Watt-Kassettenrekorder mit AC/DCs ‘Hell Bells’ aufgedreht. Ein anderer hat Hunger, geht vor zum Altar und frisst sich mit Hostien voll. Ich ignoriere das Weinen meiner Mutter und beginne, dem Kirchenchor den Pistols-Song ‘Anarchy In The UK’ beizubringen. Solche Gelegenheiten sind selten. Vor Angst machen sie mit. Ein paar Jugendliche beginnen mit einer kleinen, gemütvollen Messerstecherei und zwei der Hells Angels versuchen, einen Ministranten zu vergewaltigen. Was für ein Planet, auf dem wir solche Dinge tun! Die Polizei trifft ein. Ich hau ab in die City.

iv.
Penner machen in der U-Bahn Rundfahrten, weil niemand kontrolliert. Die Innenstadt ist voll mit Polizei. Ein Punker ruft: „Haut die Bullen platt wie Stullen!“ Es steht auch auf seiner Jacke, die Polizei nimmt ihn erst mal mit.
Ich setz mich abseits auf eine Bank, mach mein letztes Bier auf und frage Jesus: „Ist das alles dein Ernst? Was sollte das werden? Das gigantische Scheißhaus auf einer intergalaktischen Autobahnraststätte?“ Doch Jesus hat offensichtlich keinen guten Tag gehabt, denn es ziehen schnell schwarze Wolken über mir zusammen. Ein Blitz sticht herunter und trifft mich (und ich denke noch: Touché!) und verwandelt mich in Kompost. Gott ist eben doch gerecht.

Anmerkung von mir:
Es ist zwar noch nicht Weihnachten, aber ich hab mich köstlich amüsiert, als ich bei einer google-suche durch zufall darauf stiess *gG*

(Quelle: http://www.kurzgeschichten.de/vb/showthread.php?t=8569)

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Man kann den Joghurt erst aus der Ziege schütteln, wenn sie aus dem Ei geschlüpft ist!
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